Die drei Shuttles flogen im Formationsflug hinüber zu ihrem schwer beschädigten Schwesterschiff, der Vailen 1. Felicitas Team übernahm mit ihrem Shuttle die Führung. Sie umrundeten das Raumschiff und schauten sich dabei die Schäden aus der Nähe an.
Vom Antrieb war nur noch ein großes Loch übrig. Das Glasdach des Observationsdecks war zerbrochen und die Pflanzen darunter erfroren. Unterhalb der Vailen 1 trieben Container im Weltall. Viele von ihnen von der Explosion aufgebrochen und ihr Inhalt im Weltraum verstreut. All die Vorräte und Materialien waren nun verloren. Aber sie entdeckten auch, dass der Bereich um die Schlafkammern unbeschädigt zu sein schien.
Sie flogen von unten in den Hangar, oder zumindest in das was von ihm übrig geblieben war. Die Tore waren nur noch große, verbogene Metallstücke und das Kraftfeld, dass in einem solchen Fall den Hangar schützen sollte, war ausgefallen. Im Hangar standen noch zwei Shuttles, aber die waren wohl nicht mehr flugtauglich. Die anderen mussten bei der Explosion aus dem Hangar geschleudert worden sein.
Niam flog sein Shuttle vorsichtig durch die Trümmer, die überall herum schwebten und landete es behutsam.
„Da wären wir“, sagte Niam. Mit ein paar Knöpfen aktivierte er die Magnete in den Landestützen und verankerte damit das Shuttle fest mit dem Boden.
„Also in die Anzüge“, sagte Sarah. Sie ging mit den anderen in den hinteren Teil des Shuttles, wo ihre Raumanzüge in einem Schrank hingen.
„Was glaubt ihr wie lang die schon hier sind?“, fragte Kleio. „Ich meine, die Kolonieschiffe sollten alle zur gleichen Zeit ankommen, aber die Schäden sehen nicht aus als wären sie erst vor Kurzem entstanden.“ Sie nahm sich ihren Anzug aus dem Schrank und begann damit ihn sich anzulegen. Die Anzüge waren dunkelblau und verfügten über eine Art Goldfischglas, das man sich über den Kopf stülpte. In der Form waren sie sehr viel flexibler als die Anzüge aus den Anfängen der Raumfahrt. Damals musste man noch auf die Schwerelosigkeit hoffen, damit man sich überhaupt bewegen konnte. Die heutigen Raumanzüge schränkten einen kaum noch ein. Man musste nur aufpassen, dass man mit seinem Goldfischglas nicht gegen den Türrahmen stieß.
„Wir werden hoffentlich bald herausfinden, was hier schief gelaufen ist“, sagte Sarah, während sie in ihren Anzug stieg. „Aber unsere Priorität liegt bei den Überlebenden. Wenn sie immer noch in ihren Schlafkammern sind, sollten wir sie schnellstmöglich vom Schiff schaffen. Wer weiß, wie lange die Vailen 1 noch in einem Stück bleibt.“
Die anderen Stimmten zu.
„Meint ihr, die wissen gar nicht, was mit ihrem Raumschiff passiert ist?“, fragte Alex, der Mühe hatte seinen riesigen Körper in den Raumanzug zu manövrieren. Felicitas, die als erste mit ihrem Anzug fertig war, ging zu ihm hinüber und half ihm.
„Das wäre möglich“, sagte Sarah.
„Sollten nicht in einem solchen Notfall die Schlafkammern abgesprengt werden um die Besatzung zu retten?“, fragte Kleio.
„Normalerweise ja“, antwortete Niam, „aber der Schiffscomputer kann entscheiden die Besatzung nicht abzuwerfen. Wenn zum Beispiel die Überlebenschancen an Bord des Schiffes besser sind als auf einem verschneiten Planeten. Vor allem, wenn es damit rechnet, dass jeden Moment zwei weitere Raumschiffe zur Verstärkung auftauchen müssten.“
„Das hat ja ziemlich gut geklappt, das mit der gemeinsamen Ankunft,“ stellte Felicitas nüchtern fest. Sie schloss den letzten Verschluss an Alex' Anzug und reichte ihm das riesige Goldfischglas für seinen Kopf. „Noch immer kein Zeichen von der Vailen 3, oder?“
Niam genügte ein Blick auf eine der Anzeigen und er schüttelte den Kopf.
„Wir sollten uns auf die Aufgabe konzentrieren, die vor uns liegt“, sagte Sarah. „Wenn wir die gelöst haben, können wir uns um das nächste Problem kümmern. Eins nach dem Anderen.“ Die anderen nickten. „Also die Helme auf und dann wollen wir einmal sehen was uns erwartet.“
Das Team tat wie ihm befohlen. Felicitas schulterte die Tasche mit der medizinischen Ausrüstung, Niam nahm sich eine kleinere, die Werkzeug und einen kleinen Computer enthielt und betätigte dann den Knopf für die hintere Luke.
Erst zischte es eine Weile, bis der Druckausgleich durchgeführt war, dann öffnete sich die hintere Tür des Shuttles.
Inzwischen waren die anderen beiden Shuttles gelandet und die Teams stiegen gerade aus. Die Schwerkraftstiefel ihrer Raumanzüge verhinderten, dass sie mit den restlichen Trümmerteilen durch den Hangar schwebten.
Bevor die anderen Teams bei ihnen waren, schaute Sarah umher. Die große Tür, die weiter ins Innere der Vailen 1 führte, schien noch unbeschädigt zu sein und die kleine grüne Lampe darüber verriet, dass wenigstens noch ein wenig Energie übrig war. Das war doch schon einmal ein Anfang.
„Dann einmal hergehört“, sagte Sarah, als die anderen beiden Teams eingetroffen waren. Als Anführerin von Team zwei war sie die Ranghöchste hier und hatte dadurch auch die Leitung für diesen Einsatz. „Ich werde mit meinem Team einen Weg zu den Schlafkammern suchen. Team 3, schaut euch die Lagereinrichtungen an. Ich möchte wissen, wie viel von dem, was die Vailen 1 mitgebracht hat, wir noch verwenden können. Team 4, ihr geht zur Brücke und versucht herauszufinden, was hier passiert ist.
Alles klar soweit?“
Alle nickten.
„Gut, wir bleiben in Funkkontakt. Wenn ihr etwas entdeckt, oder Hilfe braucht, meldet euch. Und seid vorsichtig. Wir wissen nicht was uns in diesem Wrack alles erwartet und ich möchte nicht noch Teammitglieder auf die Zu-retten-liste setzen.“
Sie gingen hinüber zu der großen Türe, die ins Innere des Raumschiffs führte. Sarah drückte den Türöffner und die Tür ging ohne Schwierigkeiten auf. Sie gingen hinein und kamen in einen kurzen Gang, der an einer weiteren Tür endete. Dieser Gang war als Luftschleuse konstruiert, für denn Fall, dass das Kraftfeld im Hangar versagen sollte. Es war gerade genug Platz für alle. Alex schloss die hintere Tür und der Druckausgleich begann. Ein 'Bing' verkündete, dass es nun ungefährlich war die innere Tür zu öffnen und das Raumschiff zu betreten.
Im Raumschiff war es dunkel. Es gab nur eine minimale Notbeleuchtung. Felicitas war froh über die Lampen, die an ihrem Anzug angebracht waren. Bis auf die Schritte der eigenen Leute und das gelegentliche Ächzen und Stöhnen des Raumschiffs herrschte gespenstische Stille. Links und rechts von ihnen verschwand der Gang in der Dunkelheit. Vor ihnen war eine der Werkstätten, in der ein paar Werkzeuge herumschwebten. Die künstliche Schwerkraft funktionierte im Raumschiff wohl auch nicht.
Felicitas prüfte die Anzeigen auf dem kleinen Bildschirm an ihrem Arm. „Die Luft scheint in Ordnung zu sein. Etwas dünn, aber wir sollten sie atmen können“, sagte sie.
„Das ist gut, aber wir lassen die Helme auf“, sagte Sarah. „Wir wissen nicht, wie es hinter der nächsten Tür aussieht. Es ist besser wenn wir kein Risiko eingehen.“ Sarah schaute nach links und rechts. „Hier trennen sich unsere Wege schon. Wie gesagt, macht keine Dummheiten und bleibt vorsichtig, dann werden wir das alle gut überstehen“, sagte Sarah und führte ihrer Gruppe nach rechts, während die anderen beiden Teams links im Gang verschwanden.
Schon nach wenigen Schritten waren die anderen Teams nicht mehr zu hören und Sarah, Felicitas, Niam, Kleio und Alex waren allein.
Auf dem Weg, in den vorderen Teil des Schiffes, kamen sie an vielen leeren Laboren und Werkstätten vorbei. Auf ihrem eigenen Raumschiff waren hier viele Menschen gerade damit beschäftigt alles für den Betrieb vorzubereiten. Hier schwebten nur vereinzelte Gegenstände durch dunkle, verlassene Räume.
„Ein wenig unheimlich hier“, sagte Felicitas, während sie nervös von einem leeren Raum in den nächsten blickte.
„Ja“, sagte Alex, „was nicht ein wenig Licht und ein paar Menschen für einen Unterschied machen können.“ Auch er war angespannt.
Sie kamen gut voran, bis sie vor einer verschlossenen Tür Halt machen musste. Sarah versuchte den Türöffner zu betätigen, aber nichts bewegte sich.
„Soll ich die Tür öffnen?“, bot sich Alex an. Es wäre nicht die erste Tür, die er mit seinen bloßen Händen aufgestemmt hätte.
Sarah schaute durch das kleine Fenster in der Tür. „Nein, ich denke, wir suchen besser einen anderen Weg. In dem Gang dahinter fehlt ein Stück.“
„Es gibt in der Nähe einen Wartungsschacht, der uns nach oben bringen müsste“, sagte Niam.
„Ein Wartungsschacht?“, fragte Alex. „Kann ich es nicht doch lieber mit der Tür versuchen? Diese Wartungsschächte wurden nicht gerade für meine Größe gebaut.“
„Wir kriegen dich da schon durch, Großer“, antwortete Kleio lächelnd und klopfte ihm freundschaftlich auf den riesigen Rücken. Alex seufzte und folgte den anderen in Richtung Wartungsschacht.
Der Schacht war höchstens ein Meter breit und einen halben dick. Diesen Platz teilte er noch mit einer langen Leiter, die die Etagen über und unter ihnen miteinander verband. Der Zugang war nur ein rechteckiges Loch in der Wand.
„Ich gehe als erstes“, sagte Sarah und kletterte in den Schacht. „Als nächstes kommst du, Alex. Ich helfe hier drin und die anderen können von außen helfen, dann kriegen wir dich schon hier rein. Es wird zwar eng, aber es sollte gehen.“
Widerwillig ging Alex zu dem Loch in der Wand. Es war nicht einfach, aber mit etwas schieben und ziehen schafften sie den großen Alex in den Wartungsschacht, auch wenn jetzt absolut kein Platz mehr war für irgendetwas anderes.
„Wenn wir unsere Schwerkraftstiefel ausschalten können wir einfach nach oben schweben“, sagte Sarah. Sie schaltete sie aus, stieß sich ab und schwebte davon. „Hier oben sieht es gut aus“, berichtete Sarah kurz darauf über Funk. „Alex, du kannst hoch kommen.“
Alex konnte sich kaum bewegen in dem engen Schacht. Kleio musste ihm einen Schubs geben, damit er nach oben gleiten konnte. Das sah nicht ganz so elegant aus, wie zuvor noch bei Sarah. Alex stieß alle paar Meter gegen die Wand, bis er Sarah erreichte. Sie fing ihn auf und zog ihn aus dem Schacht. Durch die Schwerelosigkeit war nur noch Alex' Größe ein kleines Problem. Aber sie schaffte es und kurz darauf konnte Alex seine Stiefel aktivieren und hatte wieder festen Boden unter den Füßen.
„Und da müssen wir nachher wieder runter?“, fragte Alex außer Atem.
„So schlimm war es doch gar nicht“, sagte Felicitas lächelnd, die gerade elegant aus dem Schacht schwebte. „Aber wir sollten nach einem anderen Weg zurück zum Shuttle suchen. Wir können die Überlebenden nicht durch den Wartungsschacht evakuieren.“
„Ja, das könnte schwierig werden“, sagte Sarah.
Nachdem das Team wieder vollzählig war, setzten sie ihren Weg fort. Kurz bevor sie die Schlafkammern erreichten meldete sich eines der anderen Teams über Funk: „Hier Team 4. Wir konnten keinen Weg zur Brücke finden. Wir haben verschiedene Möglichkeiten versucht, aber sie haben uns nicht weiter gebracht. Die Gänge sind entweder eingestürzt oder sie sind im luftleeren Raum. Ohne Weltraumspaziergang werden wir die Brücke wohl nicht erreichen.“
„Hm, das ist schade. Wir werden einen anderen Weg finden, um an die Informationen zu gelangen. Macht euch auf den Weg zu uns, wir sind gleich bei den Schlafkammern. Ein Weltraumspaziergang ist das Risiko momentan nicht wert“, antwortete Sarah.
„Team 3, wie sieht es bei euch aus?“
„Ein Lager ist unbeschädigt, das zweite existiert nicht mehr. Es wurde wohl von der Explosion weggerissen. Wir sind gerade auf dem Weg zum dritten Lager, aber von dem müssten die Container sein, die wir auf dem Flug hier her gesehen haben.“
Sarah nickte. „Gute Arbeit, es sind also noch nicht alle Vorräte verloren. Ihr könnt das dritte Lager auslassen. Macht euch lieber auch auf den Weg zu uns.“
Die Tür zu den Schlafkammern war unbeschädigt. Sarah berührte den Türöffner und die Tür gab den Weg frei. Der Raum war dunkel und lang. Zu beiden Seiten des Ganges standen lange Reihen Schlafkammern, jeweils eine pro Person. Und dies war nur einer von mehreren Gängen.
„Funktionieren die Kammern noch?“, fragte Kleio. Die Schlafkammern lagen im Dunkeln, aber irgendein Licht musste doch anzeigen, dass sie noch funktionierten.
„Niam?“, fragte Sarah.
Niam ging zu einer abgeschalteten Wartungskonsole, die nach einem Tastendruck zu leuchten begann. Er blätterte durch verschiedene Datenblätter, bevor er antwortete: „Die meisten Schlafkammern funktionieren noch. Auch die Lebenserhaltung funktioniert hier drin noch. Die künstliche Schwerkraft könnten wir auch wieder in Gang bringen, sie wurde nur abgeschaltet. Der Stromgenerator macht mir aber etwas Sorgen. Er funktioniert noch, aber er sieht nicht gut aus. Wir sollten ihn nicht zusätzlich belasten.“
Sarah nickte. „Die meisten Schlafkammern?“
„Ja, zehn Stück wurden ausgeschaltet. Aber nicht aufgrund einer Fehlfunktion, sondern weil niemand drin ist“, sagte Niam.
„Was?“, Sarah ging zu Niam hinüber um sich die Sache selbst anzusehen. Es gab auf dieser Reise keine überzähligen Schlafkammern. Alles hatte einen Zweck auf diesem Schiff. Die Leute aus den Kammern mussten irgendwo sein. Mit einem Blick auf den Bildschirm sah sie, dass Niam recht hatte. Es gab zehn Schlafkammern, verteilt über die ganze Anlage, die leer zu sein schienen. „Eine der leeren Schlafkammern ist am Ende dieser Reihe.“
Kleio und Felicitas gingen den Gang entlang um nachzusehen.
„Ja, hier ist eine leer. Sie gehörte einem gewissen Lekan“, berichtete Kleio.
„Kein Nachname?“, fragte Sarah.
„Nein, hier steht nur Lekan.“
Sarah dachte kurz nach. „Also gut, such mir den Kapitän, wir brauchen Antworten.“
„Meinst du, wir können ihn hier drin einfach so aufwecken?“ fragte Alex.
„Felicitas?“
Felicitas prüfte ein paar Werte auf dem kleinen Monitor an ihrem Arm. „Hm, die Luft ist soweit in Ordnung. Ich kann ihn versorgen wenn er aufwacht. Aber es wäre gut, wenn wir Schwerkraft hätten.“
„Wir können es nicht riskieren den Schwerkraftgenerator anzuschalten“, sagte Sarah.
„Dann könnte es unschön werden“, sagte Felicitas. „Du erinnerst dich bestimmt. Es war schon schwer genug mit Schwerkraft aus den Kammern zu kommen. Ohne Schwerkraft ...“, sie zuckte mit den Schultern.
„Wir versuchen es“, sagte Sarah. „Niam, wo ist er?“
„Abteilung 4, Kammer 14. Hier entlang.“
Niam führte sie durch zwei weitere mit Schlafkammern gefüllte Gänge, bevor er vor einer Kammer halt machte.
„Caitlin Nevan“, las Kleio das kleine Schild auf der Kammer vor. „Sie sieht sehr jung aus für diesen Posten. Bist du sicher?“ Caitlin war vielleicht dreißig Jahre alt. Sie trug ihr Haar in einem langen Zopf, was sie ein wenig älter machte, aber es war dennoch kein Alter in dem man das Kommando über ein so großes Schiff bekam.
Niam zuckte mit den Schultern. „Sie ist der Kapitän dieses Schiffes. So steht es in den Akten.“
Sarah betrachtete Caitlin in ihrer Schlafkammer. Die meisten Kapitäne, die sie kannte und die ein Schiff dieser Größe flogen waren meist erfahrene Männer oder Frauen mit grauen Haaren. Es musste einen Grund geben, weshalb sie schon so früh ein solches Kommando bekommen hatte. „Kannst du sie aufwecken?“, wandte sie sich an Felicitas.
Felicitas ging zur Kontrollkonsole für diese Schlafkammer und drückte auf ein paar Knöpfe. Dann hielt sie Inne und schaute zu den anderen aus ihrem Team, die in ihren Raumanzügen, um die Schlafkammer herumstand.
„Was ist?“, wollte Sarah wissen.
„Wir sollten wenigstens unsere Helme abnehmen, um sie nicht zu sehr zu erschrecken. Und lasst ihr etwas mehr Platz“, sagte Felicitas. Das Team tat wie ihm befohlen und ging einen Schritt zurück.
Als alle ihr Goldfischglas unterm Arm hatten, betätigte Felicitas die letzten Knöpfe und der Auftauvorgang begann. Es dauerte einen Moment, bis die Schlafkammer sich zischend öffnete und Dampf in den Raum entwich.
Caitlin schwebte ein wenig in ihrer Schlafkammer, bevor sie mühsam ihre Augen öffnete.
„Tief durchatmen. Wir konnten die Schwerkraft leider nicht wieder herstellen, deswegen mag das für dich etwas ungewohnt sein. Nimm dir die Zeit, die du brauchst“, sagte Felicitas.
„Was? ...“, Caitlin hatte Mühe sich zu orientieren. Sie brauchte etwas, bis sie die Menschen vor ihr scharf sehen konnte. Die Abzeichen auf den Raumanzügen waren nicht von ihrem Schiff. „... ihr seid … von einem der anderen Schiffe?“
„Ja, wir sind von der Vailen 2“, übernahm Sarah das Reden. „Als wir aus dem Hyperraum kamen fanden wir die Vailen 1 schwer beschädigt im All treiben. Was ist passiert?“
„Dann sind wir gerettet“, sagte Caitlin und begann zu schluchzen. Sie umklammerte ihre Knie und weinte. „Es ist alles meine Schuld!“ So schwebte sie, nur mit Unterwäsche bekleidet, vor ihnen in der Luft. Sarah wusste nicht, was sie tun sollte, das war nun überhaupt nicht das, was sie erwartet hatte.
Felicitas griff nach Caitlins Hand und zog sie auf den Boden herab. Dort umarmte sie sie und versuchte Caitlin zu trösten. „Es ist alles in Ordnung, deiner Besatzung geht es gut und wir finden bestimmt einen Weg, wie wir sie alle vom Schiff schaffen können. Wir kriegen das hin!“
„Alles ... ist schief gelaufen“, weinte Caitlin.
„Tief durchatmen. Es ist nicht so schlimm, wie es aussieht“, sagte Felicitas.
Caitlin holte tief Luft, schluckte und schien sich ein wenig zu fangen.
„Siehst du, gleich geht es besser“, sagte Felicitas aufmunternd.
„Es tut mir leid ...“, sagte Caitlin mit zitternder Stimme, „... ein Kapitän sollte sich nicht so benehmen.“ Sie wischte sich mit ihrem Handrücken eine Träne weg und versuchte etwas mehr Haltung anzunehmen.
„Wer sagt, dass Kapitäne nicht weinen dürfen?“, sagte Alex auf eine Weise, die jedem mit Problemen drohte, der anderer Meinung war.
„Komm, du solltest dir etwas anziehen, es ist kalt hier drin“, sagte Felicitas und führte Caitlin zu dem Fach, in dem die Aufwachkleidung verstaut war, holte sie heraus, sie war hellbraun, und half Caitlin beim Anziehen in der Schwerelosigkeit.
„Auch wenn es schwer fällt, kannst du uns erzählen, was passiert ist?“, versuchte es Sarah noch einmal, so behutsam wie sie konnte.
„Es gab eine … Fehlfunktion im Hyperraumantrieb“, begann Caitlin langsam. „Ich hätte die Arbeitsberichte gründlicher durchsehen sollen. Ich muss irgendetwas übersehen haben. Ich hätte vor dem Start noch einmal alles überprüfen müssen. Durch meine Nachlässigkeit, hätte ich fast alle umgebracht. Einem anderen Kapitän wäre das nicht passiert.“ Wut, Enttäuschung über sich selbst und vor allem Erschöpfung lagen in ihrer zitternden Stimme.
„Niemand hat hier irgendwen umgebracht“, sagte Alex.
„Als der Fehler im Antrieb auftrat“, setzte Caitlin langsam fort, „hatten wir noch fast ein Drittel des Weges vor uns.“ Caitlin musste immer wieder kurze Pausen machen um nicht die Fassung zu verlieren, aber sie kämpfte und war entschlossen diesen Bericht abzuliefern. „Der Computer weckte mich und meine Offiziere“, fuhr sie fort. „Aus den Daten, die uns der Computer gab, konnten wir sehen, dass der Antrieb immer mehr beschleunigte und das er explodieren würde, sollten wir versuchen ihn abzuschalten.
Mein Chefingenieur berechnete, dass wir unser Ziel dennoch erreichen könnten. Ich beschloss die Reise fortzusetzen. Eine Explosion an unserem Zielort war besser als mitten im Nirgendwo zu stranden.
Da wir wussten, was auf uns zu kam, versuchten wir so viel wie möglich vor der bevorstehenden Explosion zu schützen. Vor allem der Bereich um die Schlafkammern, in dem der Großteil meiner Mannschaft immer noch schlief.
Aber es war nicht genug.
Ich erwachte, mit meinen Offizieren, in einem fast zerstörten Schiff. Es grenzte an ein Wunder, dass die Schlafkammern überhaupt noch alle funktionierten und das wir unser Ziel erreicht hatten.
Aufgrund des schlechten Zustands des Raumschiffes und weil wir nicht mit Sicherheit sagen konnten, wie lange es bis zum Eintreffen der anderen Schiffe dauern würde, mussten wir einen Weg finden, wie wir die Mannschaft von Bord schaffen konnten. Auf dem Planet war Winter. Die Hälfte der Besatzung wäre wohl gestorben, wenn wir sie mit den Kammern einfach abgeworfen hätten.
Wir konnten eines der Shuttles im Hangar reparieren, wählten zehn Personen aus, die am ehesten in dieser Umgebung überleben konnten, füllten das Shuttle mit Werkzeug und den Vorräten, die wir noch finden konnten, und schickten sie vermutlich in den Tod.“
Sie machte eine kurze Pause. Dann fragte sie ganz vorsichtig, als ob sie die Antwort eigentlich nicht hören wollte: „Welches Datum haben wir?“
„Der 29.9.2142 Erdenzeit“, sagte Kleio.
„Dann habe ich sie ganz bestimmt in den Tod geschickt“ und wieder stiegen Tränen in Caitlins Augen. Sie brauchte einen Moment, dann fuhr sie fort: „Es ist jetzt fast ein Jahr her. Sie sollten für eine Unterkunft sorgen und dann langsam den Rest der Mannschaft nach unten, auf die Oberfläche holen.“ Sie lies den Kopf hängen.
Felicitas nahm sie wieder in den Arm. „Ich werde von meinem Kommando zurücktreten, wenn es gewünscht wird“, fügte Caitlin leise und erschöpft hinzu.
„Was? Ähm, nein“, sagte Sarah. „Dafür sehe ich keinen Grund.“
„Ja, ein warmes Bett und eine Tasse heiße Schokolade und schon sieht die Welt wieder etwas besser aus“, sagte Alex.
„Soweit ich das beurteilen kann, hast du nichts falsch gemacht“, sagte Sarah. „Deine Mannschaft ist sicher am Ziel angekommen. Der Fehler im Hyperraumantrieb ist wahrscheinlich nicht deinetwegen passiert. Es könnte ein Konstruktionsfehler sein. Wir vermissen immer noch die Vailen 3. Vielleicht ist ihr etwas ähnliches zugestoßen.
Ansonsten kann ich dir nur das empfehlen, was Alex gesagt hat. Du brauchst etwas Ruhe.“
Sarah atmete tief durch um das aufzunehmen, was sie gerade erfahren hatte und überlegte die nächsten Schritte.
„Kannst auch gerne mein Bett benutzen“, bot Alex an. Kleio boxte ihn.
„Was?“, fragte er. Kleio schaute ihn vorwurfsvoll an. „Ich ähm … meine ja nur … Ich, ähm, brauche mein Bett in nächster Zeit nicht. Hier gibt es noch viel zu tun.“ Alex wurde rot. Natürlich wusste auch Kleio, dass Alex' Angebot ehrlich gemeint wahr.
Caitlin lächelte ein klein wenig. „Danke, aber ich werde wohl erst Ruhe finden, wenn meine Besatzung in Sicherheit ist.“
„Also dann, heiße Schokolade!“, sagte Felicitas schmunzelnd.
Auch Sarah hatte sich inzwischen einen Plan zurechtgelegt: „Felicitas und Kleio, könnt ihr für Caitlin einen Raumanzug finden? Wir nehmen sie später, mit dem Shuttle, hinüber auf unser Schiff.“ Felicitas nickte. Die beiden verließen den Gang mit Caitlin in der Mitte, damit sie nicht davon schwebte.
„Niam“, sagte Sarah. „Funktioniert das Abwurfsystem für die Schlafkammern noch?“
„Ja“, sagte Niam. „Aber auf dem Planeten ist immer noch Winter.“
Sarah winkte ab. „Wir werfen sie nicht auf den Planeten. Kannst du das Abwurfsystem so verändern, dass immer nur eine Kammer in das All gestoßen wird? Wir sammeln sie dann mit den Shuttles auf und bringen sie zur Vailen 2.“
„Das dürfte machbar sein“, sagte Niam, „aber ich könnte dafür Hilfe gebrauchen.“
„Alex, hilf ihm“, sagte Sarah. „Team 3 und 4 wo seid ihr?“, fragte sie über Funk.
„Sind gleich bei den Schlafkammern“, meldete sich Team 3.
„Wir sind in der Nähe vom Hangar“, sagte Team 4.
„Gut, Team 3 ihr helft Niam bei den Veränderungen am Abwurfsystem der Schlafkammern. Team 4, wir brauchen euch in eurem Shuttle. Wir werden die Kammern einzeln abwerfen, ihr fangt sie auf und bringt sie zur Vailen 2. Ich werde dem Kapitän sagen, er soll noch mehr Shuttles schicken, um euch zu helfen.“
„In Ordnung“, bestätigte Team 3.
„Alles klar!“, Team 4.
Dann berichtete sie dem Kapitän der Vailen 2, Erik Lorran, was sie von Caitlin erfahren hatte, wie es hier aussah und was sie vorhatten. „ … und lassen sie den Hyperraumantrieb gründlich durchchecken, nicht dass wir irgendetwas dort übersehen.“
„Das habe ich schon veranlasst“, sagte Kapitän Lorran über Funk. „Ich schicke euch die anderen Shuttles. Gute Arbeit.“
„Danke, Sir!“, sagte Sarah. Sie hielt kurz inne, bevor sie fragte: „Gibt es inzwischen irgendein Zeichen von der Vailen 3?“
„Leider nein“, sagte der Kapitän. „Ich hoffe sie sind einfach nur spät dran.“
„Das, hoffe ich auch“, sagte Sarah.